Nachruf: Berthold Mandalka

Berthold Mandalka war mit 96 Jahren das älteste Sportbund-Mitglied, gehörte dem Verein 63 Jahre lang an. Am vergangenen Freitag ist er im Gehörlosenzentrum St. Vinzenz in Schwäbisch Gmünd friedlich eingeschlafen. Die Beerdigung findet unter den derzeit üblichen Schutz-Regelungen im Freien statt am

Montag, 27. Juli, 13:00 Uhr
Familien-Grab, Friedhof Bempflingen, Am Oberen Berg 7, 72658 Bempflingen

Wir freuen uns, wenn zahlreiche Sportbund-Mitglieder ihn auf seinem letzten Weg begleiten!
Ein ausführlicher Nachruf für Berthold ist auf der nächsten Seite zu lesen …

„Unglaublich, unglaublich ….“ Diese Worte sprach Berthold Mandalka wenige Tage vor seinem Tod beim Besuch der St. Franziskus-Kirche in Schwäbisch Gmünd immer wieder aus. Dabei schaute er gebannt und mit seinem ansteckenden Lächeln auf das große Marienbild der Kirche. Solche Momente konnte Berthold Zeit seines Lebens genießen. Die schönen Augenblicke, er lebte sie intensiv, das spürte man, das steckte an. Momente von solch „ungewöhnlicher Größe“ teilte er mit anderen Menschen – wohl deshalb empfand er sie als unglaublich. Schön, das waren für ihn die Natur, der Schmuck, gutes Essen und Trinken, geschmückte Kirchen und der Sport. Besonders schön waren für ihn aber die Menschen. Er hatte Charisma. Er hatte dieses Strahlen im Gesicht. Er konnte Menschen für sich gewinnen. Er kam mit jedem ins Gespräch. Um Berthold herum war Leben.

Im Rückblick ist das alles andere als selbstverständlich. Denn der Start in sein Leben war schwer. 1923 im Oberschlesischen Beuthen (heute das polnische Bytom) wurde er ohne Gehör geboren. Das taubstumme Kind wurde in einer „Anstalt“ großgezogen. Hartes Brot statt Zuckerschlecken. Dokumente dieser Zeit zwischen den Weltkriegen zeugen von einer harten Erziehung. Behinderte waren zu dieser Zeit von der Gesellschaft nicht gewünschte Außenseiter, Menschen zweiter Klasse. Am Ende des zweiten Weltkrieges im Jahr 1945 wurde er aus seiner Heimat vertrieben. Er lernte Kürschner-Meister, war also Experte im Bearbeiten von Tierfellen. In vielen Orten im Südwesten, u. a. in Freiburg, fand er immer wieder Arbeit. 12 Jahre sollte es dauern, bis er 1957 in Stuttgart ein Zuhause fand. Damals suchte er auch einen Tischtennis-Verein, um Fuß zu fassen. Nach mehreren vergeblichen Anfragen bei Vereinen fand er beim Sportbund – neben dem Gehörlosen-Sportverein – seine sportliche Heimat. Selbst Sportvereine wiesen Ende der 50er-Jahre Behinderte häufig ab – heutzutage unvorstellbar. Beim Sportbund blieb Berthold bis zu seinem Tod Mitglied, also 63 Jahre lang. Beruflich war er bis Ende der 80er-Jahre beim Pelzhaus Enssle in Stuttgart beschäftigt. Auch nach seiner Pensionierung arbeitete er noch 10 Jahre in Teilzeit. In dieser Zeit zog er auch nach Esslingen. Die letzten zweieinhalb Jahre musste er dann kürzertreten, weil die Beine nicht mehr mitmachten – im Gehörlosenzentraum St. Vinzenz in Schwäbisch Gmünd. Die Vinzentiner Ordensschwestern und Pfleger ermöglichten ihm eine fürsorgliche Begleitung auf seinem letzten Lebensweg.

Vereinsfeier mit Bertold MandalkaDies waren Bertholds Stationen in einem langen Leben. Blickt man auf seine Seele und seinen Charakter, dann ist dieses „unglaublich“ im Sinne von „ungewöhnlicher Größe und Intensität“ eine treffende Beschreibung.

„Unglaublich“ war Bertholds Umgang mit seiner starken Behinderung. Anfangs konnte er nicht sprechen, nur mit Schwierigkeiten hören. Mit seinem kommunikativen Talent gelang es ihm im Laufe der Zeit, sich immer besser auszudrücken. In all den Jahrzehnten kam kein Wort der Klage über sein nicht einfaches Schicksal. Vielmehr riss er durch seine Lebensfreude die „Nicht-Behinderten“ mit – ein echtes Vorbild.

Vereinsfeier Mandalka Dome Arthur Hamburg„Unglaublich“ war Bertholds christlicher Glaube. Viele Oberschlesier besaßen eine ausgeprägte Religiosität zum katholischen Glauben. Besonders wichtig erschien ihm die Rolle der Gottes-Mutter Maria. In seinen Zwanzigern lebte Berthold sogar eine Zeit lang in einem Kloster. Er wollte Priester werden. In seiner Zeit zuletzt in Schwäbisch Gmünd mochte er die große Geselligkeit nicht mehr wie früher. Unser Ziel der sonntäglichen Spaziergänge waren dann die Kirchen. Sein Hobby wurde es, sich diese Gotteshäuser anzuschauen. Eine Stunde lang konnte er mit zufriedenem Blick die Schönheiten der Bilder und Skulpturen betrachten. Der Blick für das Besondere eben.

„Unglaublich“ waren Bertholds sportliche Fähigkeiten. Ein Allround-Sportler. Kein Bundesliga-Star. Vielmehr ein Sportler, der Gruppen mitreißen und begeistern konnte. Ein äußerst sportlicher Typ, der alles mitmachte – und der vieles gut konnte. Ob Tages-Wanderungen oder Skiausfahrten, Leichtathletik, Turnen, Fußball und eben Tischtennis. Im Gehörlosen-Sportverein übte er all dies aus. Zudem übernahm er dort als Sportwart und Vorstandsmitglied Verantwortung, organisierte zahlreiche Reisen. In der Leichtathletik war er zudem mit Leidenschaft als Kampfrichter aktiv. Diese Bühne gefiel ihm besonders: „Beim Stadionsportfest im Neckarstadion vor 50.000 bis 60.000 Zuschauern die besten Läufer und Springer der Welt zu sehen und die Zeiten und Weiten zu messen – das hat mir gefallen.“
Eine dankbare Erinnerung habe ich an meine eigene Abitur-Vorbereitungszeit. Sport als praktische Prüfung sollte es sein. Die Laufdisziplinen waren das Wackelfach. Doch Berthold bot seine Fähigkeiten als Leichtathletik-Trainer an. Zehn Wochen lang empfing er mich auf der Leichtathletik-Anlage Waldau. Das Lauf-ABC, Intervall-Training und Ausdauerläufe standen auf dem Programm. Mit großer Empathie und Konsequenz zog er die individuellen Trainingseinheiten durch. Als er dann die Kilometer-Läufe im 3:10 min.- Schnitt locker neben mir herlief, wusste ich: Der Mann ist auch mit 63 Jahren noch fit. Und aus den Wackel-Disziplinen wurde bei mir eine Volkslauf-Leidenschaft. Dank Berthold.

„Unglaublich“ war Berthold als Lebemann. Zuletzt im Rollstuhl sprach er im Café die Damen am Nebentisch an. Die waren meist 80 – und erlagen seinem Charme. Ein Jahr zuvor, mit noch 94 Jahren startete er zu Fuß seine tägliche Tour. Mit der S-Bahn ging´s von Esslingen nach Stuttgart. Stets mit Anzug und Krawatte. Die Königstraße hinauf besuchte er „seine“ Kirche, den St. Eberhard-Dom. Dann suchte er die Gespräche im Café der Pfarrei. Anschließend zog er weiter in sein Lieblings-Schmuckgeschäft, tauschte das neueste Fachwissen über Uhren und Ringe aus. Schließlich ging der Fußmarsch weiter in den Stuttgarter Osten. Schließlich wollte er Gewissheit, dass der Sportbund-Nachwuchs gut trainiert. Auch bei der Sportbund-Weihnachtsfeier war er regelmäßiger und zuletzt gefeierter Gast. Er hatte ein großes Herz für die Kinder. Und die „verzauberte“ er regelrecht. Wer bei den Pfingst-Ausflügen oder Festen bei den Turnier-Spielen früh ausschied, der hatte Glück. Denn: Dann kam Bertholds Stunde. Er ließ Pfennig-Stücke verschwinden, zauberte Gegenstände in den Raum – die Kinder schauten ihm stundenlang fasziniert zu.

„Unglaublich“ war Berthold aber vor allem als Mensch, als Freund und Helfer. Es gibt so viele Geschichten von Berthold, die man über seine Hilfsbereitschaft erzählen kann. Diese drei sind besonders in Erinnerung geblieben:

Ende der 70er-Jahre nahmen an den Trainingsabenden fast keine Kinder teil. Da waren viele gute Spieler bei den Erwachsenen. Die drei noch nicht 10 Jahre alten Walter-Brüder hatten dann ein Problem: Einer saß immer auf der Bank. Dann kam Berthold und half den jungen Anfängern. Mit einer Eselsgeduld spielte er den Dreikäsehochs die Bälle zu. Diese Situation wiederholte sich jahrzehntelang bei Kindern aller Sportbund-Generationen. Und: Nie ein böses Wort, er strahlte immer. Ein Mann, der das Glücksgefühl auf andere übertragen konnte.

Schwämmle Mandalka IvancanAm Vorabend eines dreitägigen Pfingstausflugs nach Nierstein mit über 30 Sportbund-Nachwuchs-Cracks fiel ein Betreuer aus. Telefonat Berthold, damals schon über 70 Jahre alt: „Ich springe ein.“ Sein Auto vollgepackt, ging es wenige Stunden später los, kein Kind musste zu Hause bleiben. Im Vereinsheim von Nierstein legte er sich dann zwischen all den Kindern auf die Turnmatte zum Schlafen. Nachts flogen die Schuhe in diesem „Schlafsaal“. Am nächsten Morgen die Frage von völlig übermüdeten Betreuer-Kollegen an Berthold, wie es ihm erging: „Kein Problem, ich habe einfach mein Hörgerät ausgemacht und sehr gut geschlafen.“

Auch in dieser Zeit stand für den Sportbund der LBS-Cup als Ausrichter auf dem Programm. In Stuttgart fand sich in diesem Jahr keine Sporthalle für dieses mit 64 Mannschaften top besetzte internationale Turnier. Ausweichtermin: die Sporthalle in Kemnat. Sämtliches Spielmaterial musste die gut 10 km transportiert werden – und wieder zurück. Jede helfende Hand wurde benötigt. Berthold ackerte von Freitag bis Montag über 12 Stunden am Tag, stellte hunderte Umrandungen auf, hob die Tische aus dem LKW, versorgte die Küche mit Nachschub, sorgte für gute Stimmung bei den Gast-Mannschaften. Nein, er ackerte nicht, er sagte nur: „Mir macht das Spaß, weil sich die Kinder so freuen.“ Und strahlte wie immer mit seinem schönsten Lachen.
Ein toller Mann und herzensguter Mensch.

Berthold, Du hast der Sportbund-Familie wie kaum ein anderer etwas von Dir gegeben. Du hast den Verein auf Deine Weise geprägt. Danke für alles!

Meinem väterlichen Freund, für den Sportbund,
Thomas Walter

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